Ich habe kein Atelier, ich habe eine Kiesgrube. Hier steht mein Arbeitstisch mit Stein darauf. Der Himmel wölbt sich weit über mein Reich und die Sonne scheint kräftig hinein und schenkt mir Schatten und Licht. Es ist einsam hier und still. Manchmal rauscht ein Schub Kies herunter, oder es löst sich ein einzelner Stein aus der Wand, springt kollernd herab und ruft mich an.
Einen der seidig grauen, sonnenwarmen greif ich mir. Meine Hand befühlt ihn, dreht und wendet ihn; mein Daumen streicht über seine wechselnden Formen, die so unglaublich ausdrucksstark sind im Sonnenlicht. Jahrtausende lang haben die Ströme der Schöpfung ihn durchzogen, ihn ausgehöhlt und geschliffen.
Seltsames Heimweh, tiefe Erregungen überkommen mich. Einen Augenblick lang bin ich eins mit dem Stein, eins mit dem Kosmos, dem wir beide zugehören, jenen Brüdern nahe, die ihm noch unmittelbar verbunden waren und ganz in Unschuld ihre Werke schufen. Sie standen "im Anfang", als das Wort noch bei Gott war.
Hier sind die Quellen aller Schöpfung. Reine Kunst muss immer wieder "im Anfang" sein, aus dem All, aus unserer Seele geboren - einsam und ohne Vorbild. Kunst will nicht dienstbar sein, sie ist nicht im Menschlichen verhaftet. Kunst ist losgelöst und schweigend wie ein Stern. Erst dann spricht sie ihre Sprache.
Ich gehe zurück zu meinem Stein. Tagelang war ich unterwegs, um ihn zu finden. Einige habe ich ausgegraben, herumgewälzt, aus Hängen gebrochen, umkreist und angeschlagen; andere kannte ich schon und suchte sie auf, bis endlich dieser hier im Einklang schien mit meiner Idee, die ich in mir trage. Denn der Stein soll mittun, wenn mein Bild darin entsteht, er soll mir Mittler sein, nicht nur Material. Ich will sein Eigenleben schonen, ihm nur auf besondere Art Bestätigung verleihen, ihm, dem steingewordenen, in Stein verwandelten Gedanken. Darum ziehe ich den Feldstein vor, sein Wesen scheint mir mehr in Harmonie mit einfacher, direkter Aussage.
Der Feldstein verlangt die strenge Form. Er widersetzt sich dem peinlich Ausgeführten, verdirbt unter detaillierter Geschwäzigkeit. Er kommt meiner Art nicht nur entgegen, er führt zu ihr hin.
Das ist:
Plastik von solcher Einfachheit, Reinheit und Unmittelbarkeit, daß sie nur so und nicht anders sein kann, unmittelbar und klar. "Ruhendes Sein" in stärkstem, direktestem Ausdruck der erkannten Form, aus dem All, aus der Seele geboren, ohne Vorbild, ohne Wollen.
Da steht er nun auf dem Bock, der Anfang ist gemacht. Von einem Glücksgefühl ohnegleichen durchströmt, sehe ich das Bild meiner Idee Wirklichkeit werden, das ich nur als Zeichnung kannte. Ein Erwachen, zauberhaft lebendig im Geheimnis des nur Angedeuteten.
Auch hier ist der Stein, was ich brauchte: Er ist hart. Nur langsam geht es weiter. Der Stein gibt mir die Zeit, die zu allem Wachstum notwendig ist. Man muß vom Fortgeschrittenen her immer wieder zum Anfang zurück, um das, was man sagen will, klar herauszuarbeiten. Denn was betont weden muß, weiß man anfangs nur vage, später sicher und scharf. Die Verdeutlichung des inneren Bildes wird erst während der Arbeit geschenkt.
Das heilige Abenteuer hat begonnen, und jeder Tag der kommenden Woche wird für mich Schöpfungstag sein. Eines Tages ist das Werk vollendet. Und dann? Ich und der Stein haben unsere Aufgabe erfüllt, uns selbst getreu zu sein. Mehr soll den Künstler nicht kümmern. Dennoch hofft er auf die Augen, die sehen können, auf die Hände, die fühlen können ...